
NMPA Usability-Anforderungen für Medizinprodukte auf dem chinesischen Markt
Was Hersteller wissen müssen
November 2025
Executive Summary
Seit dem 8. Oktober 2024 ist die aktualisierte NMPA Usability & Human Factors Guideline in Kraft. Diese fordert im Rahmen der Medizinproduktezulassung in China klare Nachweise, dass Medizinprodukte sicher bedient werden können – unter Berücksichtigung chinesischer kultureller und sprachlicher Rahmenbedingungen. Dieser Artikel erläutert, welche Produkte betroffen sind, welche Anforderungen gelten und wie Sie diese erfolgreich erfüllen. Hierbei wird die empfohlene Vorgehensweise unserer Experten detailliert und anhand von konkreten Beispielen erläutert.
1Die Rolle der NMPA im Usability-Zulassungsprozess
Bei der zuständigen Aufsichtsbehörde handelt es sich um die National Medical Products Administration (NMPA) – die chinesische Behörde zur Regulierung und Überwachung von Arzneimitteln, Medizinprodukten und Kosmetika. Sie ist seit 2018 die Nachfolgeorganisation der CFDA (China Food and Drug Administration) und Teil der State Administration for Market Regulation (SAMR). Im Zusammenhang mit Medizinprodukten unterhält die NMPA verschiedene nachgeordnete Organisationen und Zentren, darunter das CMDE (Center for Medical Device Evaluation).
Das CMDE ist eine spezielle Einheit innerhalb der NMPA, die die Anzeige- und Zulassungsverfahren für Medizinprodukte aller Klassen technisch prüft und bewertet und auch für das Thema Usability zuständig ist. Ähnlich wie die amerikanische FDA (Food and Drug Administration) hat die NMPA eigene Gebrauchstauglichkeitsanforderungen (Usability Requirements) definiert und diese in Form von Guideline Dokumenten veröffentlicht. Die chinesischen Originaldokumente können Sie hier frei zugänglich herunterladen.
Eine Expertengruppe mit intensiver Mitwirkung durch USE-Ing. Experten hat eine kommentierte, englische Übersetzung des chinesischen Originaltextes erstellt, welches Sie hier frei zugänglich herunterladen können.

2Für welche Produkte gilt die NMPA Usability Guideline?
Die NMPA Usability Guideline ist prinzipiell auf Medizinprodukte aller Klassen anwendbar. Allerdings fordert die Guideline ausschließlich Usability Dokumentation für Medizingeräte der Klassen II und III. In Übereinstimmung mit IEC 62366-1:2015 wird in der Guideline nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Kombinationsprodukte aus Arzneimitteln und Medizinprodukten in den Anwendungsbereich fallen. Auf der Grundlage diverser Textpassagen der Guideline (insbesondere Abschnitt VI.(IV)) kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die dargelegten Grundsätze auch für alle Medizinprodukte der Klassen II und III gelten, die Teil oder Bestandteil eines als Arzneimittel regulierten Produkts sind. In-vitro-Diagnostik-Reagenzien bleiben vom Anwendungsbereich ausgeschlossen.
Es ist zu erwähnen, dass die chinesische Risikoklassifizierung nicht deckungsgleich mit der US-amerikanischen oder europäischen Klassifizierung ist. Diese Risikoklassifizierung steuert allerdings den Umfang der durchzuführenden Usability-Aktivitäten maßgeblich, insbesondere in Bezug auf Usability Tests mit repräsentativen Anwendern. Die folgende Tabelle zeigt den in der Guideline enthaltenen Produktkatalog für Produkte der high Use-Risk Klasse aus Sicht der NMPA für welche unter bestimmten Voraussetzungen summative Usability Tests durchgeführt werden müssen (siehe Kapitel 3).
Product Name
- Cardiac radio-frequency ablation equipment
- Cardiac radio-frequency ablation catheter
- Radio-frequency ablation equipment for cardiac surgery
- Radio-frequency ablation forceps/pen for cardiac surgery
- Surgical navigation and positioning system (with robotic arm and end effector)
- Endoscopic surgical system
- Control system for vascular interventional surgery
- Therapeutic ventilator
- Home healthcare environment ventilator
- External defibrillation equipment
- Haemodialysis equipment
- Continuous blood purification equipment
- Artificial liver device
- Implantable circulation assistance equipment
- Implantable drug infusion equipment
- Syringe pump (Class III)
- Needle-free injectors
- Infusion pump (Class III)
- Insulin pump (Class III)
Tabelle: Produktkatalog für Produkte der high Use-Risk Klasse – aus NMPA Guideline (Stand 10/2024)
3Umfang der Usability Aktivitäten & Dokumentation
Welcher Umfang an Usability Engineering Aktivitäten von der NMPA erwartet wird, hängt vor allem von den folgenden Aspekten ab:
- der Nutzungsrisikoklasse des Medizinproduktes (Use-Risk Level)
- dem Vorhandensein von vergleichbaren Äquivalenzprodukten, welche sich bereits auf dem chinesischen Markt befinden
- Verfügbaren Mensch-Produkt-Interaktionsinformationen über identifizierte Äquivalenzprodukt
In Abhängigkeit dieser Variablen erwartet die NMPA die Einreichung eines der folgenden zwei Dokumente:
- Use Error Evaluation Report
- Usability Engineering Research Report
Das folgende Ablaufdiagramm schildert das empfohlene Vorgehen zur Bestimmung des Usability Engineering Aufwands.
Im Folgenden werden die Teilschritte im Detail erörtert.
Schritt 1: Bestimmung der Nutzungsrisikoklasse des Medizinproduktes (Use-Risk Level)
Zu Beginn ist das Use-Risk-Level des Produkts zu bestimmen. Hierbei folgt die NMPA dem gängigen Vorgehen sowohl der FDA als auch der IEC 62366-1, indem sie betont, dass aufgrund der meist fehlenden Datengrundlage bei der Risikoklassifikation der Fokus auf den Schweregrad des Schadens und nicht auf die Eintretenswahrscheinlichkeit gelegt werden soll. Insbesondere folgt die NMPA dem Ansatz der bereits durch die FDA bekannten Critical Tasks. Hierbei definiert die NMPA wie folgt:
- Der falsche Gebrauch von Medizinprodukten der Klasse II (medium Use-Risk) kann zu leichten Verletzungen führen.
- Der falsche Gebrauch von Medizinprodukten der Klasse III (high Use-Risk) kann zu schweren Verletzungen oder zum Tod führen. Dieses Konzept ähnelt dem Critical Task-Ansatz der FDA.
Als Indikatoren für ein high Use-Risk Produkt gelten laut NMPA zudem die folgenden Merkmale:
- Völlig neue Anwendungsarten
- Lange Einarbeitungszeiten
- Verwendung durch Laien
- Hohe Komplexität der Bedienung
Darüber hinaus kann das Use-Risk-Level eines Medizinprodukts auch anhand von Post-Market Surveillance Daten und Recalls bestimmt werden:
- High Use-Risk-Level: Bei schwerwiegenden, unerwünschten Ereignissen (adverse events) oder Rückrufen (recalls) der Klasse I im Zusammenhang mit Problemen bei der Anwendung ähnlicher Medizinprodukte nach dem Inverkehrbringen.
- Medium Use-Risk-Level: Bei unerwünschten, Ereignissen oder Rückrufen der Klasse II im Zusammenhang mit Problemen bei der Anwendung ähnlicher Medizinprodukte nach dem Inverkehrbringen.
- Low Use-Risk-Level: Wenn keine unerwünschten Ereignisse oder nur Rückrufe der Klasse III oder keine Rückrufe im Zusammenhang mit Problemen bei der Anwendung ähnlicher Medizinprodukte nach dem Inverkehrbringen vorliegen.
Die Bewertung orientiert sich inhaltlich an der ISO 14971:2019. Ergebnis ist eine Einordnung, ob ein Medizinprodukt mit high Use-Risk-Level vorliegt oder nicht.
Schritt 2: Äquivalenzprodukt-Analyse auf dem chinesischen Markt
Handelt es sich bei dem zu entwickelnden Medizinprodukt um kein Produkt mit high Use-Risk Level, kann der Usability Engineering Prozess verkürzt werden und direkt ein Use Error Evaluation Report angefertigt werden.
Liegt allerdings ein Produkt mit high Use-Risk-Level vor, ist eine Äquivalenzprodukt-Analyse auf dem chinesischen Markt durchzuführen. Hierfür ist eine systematische Recherche durchzuführen, ob im chinesischen Markt bereits äquivalente Produkte vorhanden sind. Relevante Quellen sind insbesondere NMPA-Registrierungen und öffentlich zugängliche Produktinformationen.
Definieren Sie klare Kriterien, womit die Äquivalenz begründet wird. Diese können zum Beispiel die folgenden Aspekte umfassen:
- Übereinstimmung in Bezug auf intended use,
- Übereinstimmung in Bezug auf intended user profiles,
- Übereinstimmung in Bezug auf Funktionsprinzipien und
- Übereinstimmung in Bezug auf charakteristischen UI-Merkmalen (Bedienelemente, Anzeigen und Labels)
in Kombination mit äquivalenten Arbeitsaufgaben und -abläufen.
Die Recherche ist nachvollziehbar zu dokumentieren, einschließlich Suchstrategie, herangezogener Quellen, identifizierter Produkte und der Begründungen für Ein- oder Ausschluss. Existiert ein Äquivalenzprodukt in China, sollten gezielt Daten zur Mensch-Produkt-Interaktion bezüglich dieses Produktes erhoben und aufbereitet werden, etwa in Form eines Comparative Evaluation Reports, der Teil des Usability Engineering Research Reports sein kann.
Schritt 3: Summative Usability-Evaluation
Wenn kein Äquivalenzprodukt nachweisbar ist, ist die Validierung in Form eines summativen Usability-Tests vorgesehen. Dies kann sowohl Inhouse als auch durch einen externen Usability Testing Dienstleister (Agentur / Prüflabor) erfolgen. Die NMPA betont hierbei allerdings klar, dass die an der Durchführung beteiligten Personen Expertise auf dem Gebiet des Usability Testing medizinischer Produkte und Geräte besitzen müssen und dass die Evaluation nicht durch Personen erfolgen darf, die Teil des Entwicklungsteams sind oder waren. Die summative Usability-Evaluation ist als validierende Studie anzulegen.
Hierfür sind repräsentative, chinesische Nutzer gemäß den intended user profiles zu rekrutieren. Die NMPA empfiehlt ähnlich wie die FDA die Durchführung des Usability Tests mit 15 Probanden je relevanter Nutzergruppe. Hinsichtlich der Durchführung des Usability Tests ist im Sinne eines simulated use tests auf die realitätsnahe Simulation der Nutzungsumgebung (use environment) zu achten. Dabei sind Labels, Gebrauchsanweisungen und notwendige Produkt-Trainings sind in der vorgesehenen Marktausprägung ebenfalls zu berücksichtigen.
Achten Sie hierbei auch auf ein eventuell notwendiges Trainings-Decay. Analog zu anderen Standards und Guidelines sind Use Errors, Close Calls und Use Difficulties zu erfassen und hinsichtlich Root Causes zu analysieren. In Zusammenarbeit mit dem Risikomanagement ist hierdurch eine ausreichende Datenbasis zum Nachweis der Funktionsfähigkeit der Risk Control Measures und hinsichtlich der Akzeptanz des Restrisikos zu generieren. Sind die Daten ausreichend, gilt es, den Usability Engineering Research Report zusammenzustellen.
4Wie sind der Use Error Evaluation Report und der Usability Engineering Research Report aufgebaut?
Je nach vorliegendem Fall stellt entweder der Use Error Evaluation Report oder der Usability Engineering Research Report die gesamte Argumentationskette und Evidenzlage in Bezug auf den sicheren und effektiven Gebrauch für die NMPA dar. Die folgende Tabelle zeigt die in der Guideline enthaltenen Empfehlungen zur Gliederung der beiden Dokumente:
Use Error Evaluation Report
- Basic information
- Level of risk of use
- Core elements
4a. Analysis of post-market use problems of similar medical devices
5a. Use-risk management
6a. Conclusion
Usability Engineering Research Report
- Basic information
- Level of risk of use
- Core elements
4b. Usability Engineering Process
5b. User interface requirements specification
6b. Use-risk management
7b. Verification and Validation of the User Interface
8b. User interface traceability analysis
9b. User training scheme
10b. Conclusion
Im Folgenden werden die einzelnen Kapitel näher der beiden Dokumente jeweils vertiefend erläutert (Use Error Evaluation Report (a), Usability Engineering Research Report (b).
Kapitel 1: Basic information
Beide Dokumente beginnen mit den Basic Information. Der Inhalt ist mit dem der Use Specification vergleichbar und bezieht sich vor allem auf allgemeine Produktbeschreibungen. Benutzerprofile und die Beschreibung der Nutzungsumgebung (use environment) sind allerdings in Kapitel 3 „Core elements“ aufzuführen.
Kapitel 2: Level of risk of use
Im Kapitel Level of risk of use ist die Herleitung des use risk levels für das vorliegende Produkt klar und nachvollziehbar dazulegen. Dieses Kapitel ist im Vergleich zur IEC 62366-1 und zur FDA Guidance neu und geht über die gängige Dokumentation in der Usability Engineering File hinaus. Ein risikobasierter Ansatz ist zwar auch in IEC 62366-1:2015 hinsichtlich der Auswahl von Hazard-related Use Scenarios oder der Definition von Critical Tasks gemäß FDA Guidance vorhanden, aber hier wird eine ausführlichere Begründung der Risikoeinschätzung gefordert.
Kapitel 3: Core elements

Praktische Beispiele zur grundsätzlichen Veranschaulichung der Klassifizierung verschiedener User Tasks

Infusionspumpe
Einstellung der Durchflussrate (Flow Rate)
User Task Klassifizierung:
- Critical,
- Non-urgent,
- Non-frequent
Begründung:
Kritikalität – Die Einstellung der Durchflussrate bestimmt die verabreichte Medikamenten- oder Flüssigkeitsmenge. Ein falsch eingestellter Wert kann zu Über- oder Unterinfusion führen und unmittelbar kritische physiologische Zustände verursachen (z. B. Hypotonie, Hyperkaliämie, Schock, Atemdepression – abhängig vom Wirkstoff). Die Aufgabe ist daher critical.
Dringlichkeit der Bedienung – Die Einstellung wird in der Regel nicht unter Zeitdruck vorgenommen. Sie erfolgt vor Therapiebeginn oder bei planmäßiger Anpassung. Obwohl der potenzielle Schaden hoch ist, besteht üblicherweise kein Sekunden- oder Minutendruck während der Eingabe. Die Aufgabe ist daher non-urgent.
Häufigkeit der Bedienung – Das Einstellen oder Ändern des Flow Rates ist nicht kontinuierlich erforderlich. Es handelt sich um eine episodische Handlung, die beim Start der Infusion oder bei einzelnen Therapieanpassungen ausgeführt wird. Die Aufgabe ist daher non-frequent.

Beatmungsgerät
Sofortige Sauerstoffsteigerung hinzuführen
User Task Klassifizierung:
- Critical,
- Urgent,
- Non-frequent
Begründung:
Kritikalität – Die Sauerstoffkonzentration wirkt unmittelbar auf die Oxygenierung des Patienten. Eine unzureichende Erhöhung des O₂-Anteils kann schnell zu Hypoxie führen, die akute Organschäden oder Kreislaufversagen verursachen kann. Diese Aufgabe ist daher critical.
Dringlichkeit der Bedienung – Die Notwendigkeit zur Erhöhung der Sauerstoffzufuhr entsteht oft plötzlich, z. B. bei Sättigungsabfall, Ateminsuffizienz oder unerwarteter klinischer Verschlechterung. In diesen Situationen muss innerhalb von Sekunden reagiert werden. Die Aufgabe ist daher urgent.
Häufigkeit der Bedienung – Eine sofortige Sauerstoffsteigerung wird nicht routinemäßig durchgeführt. Sie tritt nur bei klinischen Komplikationen oder instabilen Patientenzuständen auf. Damit ist die Aufgabe non-frequent.

Patientenmonitor
Bestätigung eines Alarms
User Task Klassifizierung:
- Non-critical,
- Non-urgent,
- Frequent
Begründung:
Kritikalität – Die Alarmbestätigung beeinflusst nicht unmittelbar die physiologischen Parameter des Patienten. Sie dient der Systeminteraktion, nicht der direkten Therapieanpassung. Der potenzielle Schaden entsteht erst indirekt – etwa durch Alarmmüdigkeit oder übersehen kritischer Alarme. Die Aufgabe ist daher non-critical.
Dringlichkeit der Bedienung – Die Bestätigung eines Alarms ist nicht zeitkritisch, da die klinisch relevante Handlung (z. B. Intervention bei kritischem Zustand) unabhängig von der Alarmquittierung erfolgen muss. Die Bestätigung dient primär der Alarmverwaltung und nicht der unmittelbaren Patientenstabilisierung. Die Aufgabe ist daher non-urgent.
Häufigkeit der Bedienung -Alarmquittierungen treten in klinischen Umgebungen – insbesondere auf Intensivstationen – sehr häufig auf. Die hohe Alarmrate führt zu regelmäßiger Interaktion mit dem Alarminterface. Die Aufgabe ist daher frequent.
Kapitel 4a : Analysis of post-market use problems of similar medical devices
Dieser Analysebericht kann im Zuge einer klinischen Literaturrecherche erstellt werden und enthält dabei üblicherweise Angaben zum Untersuchungsgegenstand der Recherche (dem Medizingerät), zum Ablauf und Inhalt der Recherche (Wie wurde vorgegangen und welche Quellen wurden durchsucht?) sowie zu den erzielten Ergebnissen (hier ist eine Dokumentenliste zu erstellen sowie Volltexte mit einzureichen). In der Regel sollte die Recherche die vergangenen fünf Jahre abdecken. Es ist zu beachten, dass der Umfang der Literaturrecherche sowohl die wichtigsten globalen Datenbanken zu Vorkommnissen (adverse events) und Produktrückrufen (recalls) medizinischer Geräte als auch chinesische und internationale Literaturdatenbanken umfassen sollte.
Kapitel 4b : Usability engineering process
Die NMPA fordert in diesem Kapitel die Veranschaulichung des projektspezifischen Usability-Engineering-Prozesses anhand eines Flussdiagramms. Ein Inhaltsverzeichnis für die Usability-Engineering-Akte soll ebenfalls zur Verfügung gestellt werden, sowie eine kurze Beschreibung der Inhalte und Anforderungen jeder im Prozess durchgeführten Aktivität.
Kapitel 5a & 6b: Use-risk management
Die NMPA-Richtlinie fordert die Einreichung der Risikomanagementdokumentation für das zuzulassende Medizingerät inklusive der klaren Kennzeichnung der darin enthaltenen nutzungsbezogenen Risiken (use-related risks). Alternativ kann eine eigene nutzungsbezogene Risikomanagementakte eingereicht werden. Das nutzungsbezogene Risikomanagement sollte eine Analyse der bereits auf Grund von Post-market Surveillance Daten bekannten Use Errors ähnlicher Medizinprodukte enthalten. Zudem sollte es eine umfassende Risikoanalyse aller bekannten Use Errors des eingereichten Medizinprodukts sowie der jeweiligen Risikokontrollmaßnahmen (risk control measures) abdecken, um nachzuweisen, dass das verbleibende nutzungsbezogene Restrisiko akzeptabel ist.
Kapitel 5b: User interface requirements specification
Hier wird die Darlegung der Spezifikationen der User Interface Anforderungen des Medizingerätes gefordert, was vergleichbar mit Kapitel 5.6 der IEC 62366-1:2015/AMD1:2020 ist. Wenn keine separate Spezifikationsdatei für die Benutzerschnittstelle vorliegt, kann die Produktspezifikationsdatei unter Angabe der enthaltenen User Interface Specification vorgelegt werden.
Kapitel 7b: Verification and Validation of the User Interface
Die NMPA fordert hier, den Inhalt und die Anforderungen der Evaluationsaktivitäten im Zusammenhang mit der Verifizierung und Validierung des User Interfaces des Medizingerätes zu beschreiben. Der Begriff „Verfication“ wird größtenteils mit der formativen Evaluation und „Validierung“ mit der summativen Evaluation gleichgesetzt. Im Vergleich zu anderen Normen und Richtlinie ist hervorzuheben, dass die NMPA-Richtlinie die Vorlage einer User Interface Verification fordert, was sinngemäß der formativen User Interface Evaluation des Medizingerätes entspricht. Wird eine vergleichende Bewertung (comparative evaluation) mit einem Äquivalenzprodukt durchgeführt, ersetzt diese den Plan und den Bericht des summativen Usability-Tests.
Kapitel 8b: User interface traceability analysis
An dieser Stelle wird die Erstellung und Einreichung eines User Interface Traceability Analysis Report gefordert, der die Beziehungen zwischen den Anforderungen an die Benutzerschnittstelle (User Interface), dem Design, der Verifizierung (formative Evaluationen) und Validierung (summative Evaluation) sowie dem Risikomanagement transparent und nachvollziehbar macht.
Das Kapitel 8b „User interface traceability analysis“ ist im Vergleich zu anderen gängigen Usability-Normen und -Richtlinien ein Novum. Wir empfehlen die Ausarbeitung einer Matrix-Struktur, welche alle zuvor genannten Aktivitäten aufzeigt und in Referenz setzt. Dies wird durch ausführliche Beschreibungen der Zusammenhänge zwischen den einzelnen Aktivitäten ergänzt, die erläutern, wie die einzelnen Aktivitäten ineinandergreifen.
Kapitel 9b: User training scheme
Falls zutreffend soll hier ein Trainingsschema für das zuzulassende Medizingerät ausgearbeitet werden, welches den Anwendertrainingsplan (User Training Scheme), die verwendeten Materialien, Methoden und Trainer erläutert sowie die Evaluation der Trainingseffektivität nachweist.
Kapitel 6a & 10b: Conclusion
Hier ist abschließend kurz der gesamte Usability-Engineering-Prozess zu beschreiben, quasi in Form einer Management Summary. Insbesondere ist darzulegen, inwiefern die nutzungsbezogenen Restnutzungsrisiken auf ein akzeptables Maß reduziert wurden, und die Sicherheit und Effektivität des User Interfaces gegeben ist.
5Wann sind Usability-Tests in China durchzuführen?
Ob summative Usability-Tests mit dem Medizingerät durchzuführen sind, ergibt sich aus der in Kapitel 3 „Umfang der Usability Aktivitäten & Dokumentation“ beschriebenen Entscheidungslogik, wobei Use-Risk-Level und verfügbare Datenbasis in Bezug auf Äquivalenzprodukte entscheidend sind. Bei Produkten mit high Use-Risk und ohne belastbares Äquivalenzprodukt erwartet die NMPA in der Regel eine summative Usability-Evaluation in Form von simulated use tests mit chinesischen Anwendern in einem ausreichend simulierten chinesischen Nutzungskontext / Simulationsumgebung. Die Richtlinie fordert mindestens 15 chinesische Teilnehmer pro relevanter Benutzergruppe, um Use Errors verlässlich zu identifizieren.
Die Richtlinie sieht eine sorgfältige Auswahl der Teilnehmer, gegebenenfalls Schulungen und Datenerfassung mit dem Schwerpunkt auf die Critical Tasks vor. Die Richtlinie betont, dass Personen, die häufig an Usability-Tests desselben Geräts oder anderer Geräte desselben Herstellers teilnehmen, ausgeschlossen werden sollten. Interessant im Vergleich zu anderen Richtlinien ist, dass die NMPA-Richtlinie explizit eine Begründung erwartet, wenn keine Geräteschulung für die Test-Teilnehmer erforderlich ist. Die Testberichte sollten detaillierte Angaben zu den Zielen, Simulationsbedingungen, Ergebnissen in Bezug auf Use Errors und damit verbundene Root Causes sowie etwaigen Abweichungen enthalten.
Steht fest, dass Usability-Tests in China erforderlich sind, stellt sich die Frage nach der praktischen Umsetzung. Die NMPA schreibt kein konkretes Qualifikationsprofil vor, formuliert aber klare Anforderungen an die Qualifikation und Unabhängigkeit der die Tests durchführenden Personen – Die Evaluation soll von Personen mit nachweisbarer Erfahrung im Usability Testing von Medizinprodukten geplant, durchgeführt und ausgewertet werden. Stark in die Entwicklung involvierte Mitglieder des herstellenden Unternehmens sollen nicht mit der Durchführung betraut werden.
Für internationale Hersteller haben sich in der Praxis im Wesentlichen zwei Umsetzungsmodelle etabliert:
Auf China-spezialisierte Usability-Prüflabore
Durchführung der Studie durch Partner mit erfahrenem Usability-Testing Personal und eigener Infrastruktur (Labore, Rekrutierungspanel), enger inhaltlicher Abstimmung mit dem zentralen Usability-Team des Herstellers.
Herstellerinterne Durchführung über lokale Niederlassungen
Durchführung in einer chinesischen Niederlassung oder einem unternehmenseigenen Usability-Labor, sofern die moderierenden Personen unabhängig vom Entwicklungsteam sind und über ausreichende Erfahrung im Usability Testing verfügen; häufig in Kombination mit externer Beratung zur NMPA-konformen Dokumentation.
Für die chinesische Behörde ist dabei weniger entscheidend, ob die Studie in einem Herstellerlabor, bei einem externen Prüflabor oder in einem Krankenhaus durchgeführt wird, sondern ob Design, Durchführung und Dokumentation der Evaluation nachvollziehbar zeigen, dass unter chinesischen Bedingungen alle Critical Tasks sicher beherrscht werden. Eine klare Dokumentation der Rollen (wer plant, moderiert, wertet aus), der Qualifikation der Beteiligten und der Schnittstellen zum Risikomanagement ist daher ein wesentlicher Bestandteil der einzureichenden Dokumentation.
6Fazit - So gelingt die Usability Dokumentation für die Zulassung auf dem Chinesischen Markt
Die „Guideline for Registration Review of Usability Engineering of Medical Devices“ der NMPA ist die zentrale Referenz für die Bewertung der Gebrauchstauglichkeit im chinesischen Zulassungsverfahren. Für Hersteller mit etabliertem Usability-Engineering-Prozess gemäß 62366-1:2015 bedeutet dies: Der grundlegende Ablauf – Use Specification, risikobasierte Use Scenarios, formative und summative Untersuchungen – bleibt vertraut. Die NMPA verschiebt den Schwerpunkt jedoch von einem primär internen Usability Engineering File hin zu prüffähigen Dokumenten, die im Dossier eigenständig bestehen müssen (Use Error Evaluation Report bzw. Usability Engineering Research Report). Die in Kapitel 4 dargestellte empfohlene Gliederung dieser Dokumente spiegelt genau diese Dossier-Orientierung wider.
Für eine erfolgreiche Zulassung in China reicht es deshalb nicht, einen bestehenden IEC-62366-1-Prozess einfach „mit einzureichen“. Entscheidend ist, dass Hersteller ihren Usability-Nachweis konsequent in den NMPA-Rahmen übersetzen: mit klarem Use-Risk-Level, nachvollziehbarer Entscheidungslogik (Use Error Evaluation Report vs. Usability Engineering Research Report), gegebenenfalls China-spezifischen summativen Usability Tests sowie prüffähiger Dokumentation im Registrierungsdossier. Hersteller, die entsprechend systematisch vorgehen, erhöhen nicht nur ihre Chancen auf eine zügige Marktfreigabe. Sie stellen auch sicher, dass ihre Produkte im chinesischen Alltag von den richtigen Nutzergruppen sicher und effektiv gemäß Kennzeichnung verwendet werden – und positionieren sich damit nachhaltig in einem der wichtigsten MedTech-Märkte der Welt.
Disclaimer
Die in diesem Fachartikel dargestellten Informationen zu Normen und Richtlinien wurden nach bestem und fundiertem Expertenwissen dargelegt. Sie spiegeln hierbei rein die Meinung des Autors wider. Es kann keine Gewähr für die Vollständigkeit, Aktualität und Richtigkeit der Angaben übernommen werden. Normen und Richtlinien unterliegen regelmäßigen Überarbeitungen und Änderungen, die hier nicht immer unmittelbar berücksichtigt werden können. Dieser Artikel stellt keine verbindliche Beratung dar und ersetzt keine Prüfung der jeweils gültigen Normen und Richtlinien durch qualifizierte Fachpersonen oder offizielle Stellen. Für die Anwendung der Normen und Richtlinien und deren Auslegung sind stets die aktuell gültigen Originaldokumente sowie die zuständigen Organisationen maßgeblich.

Als Usability-Engineering-Spezialisten unterstützen wir von USE-Ing. Sie gerne bei der Planung, Durchführung und Dokumentation von Usability-Aktivitäten in China. Sie haben Fragen? Sprechen Sie uns gerne an.









